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Tags: Polyamorie, Interview

Autor/in: Caroline Breitfelder

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Polyamorie – Was ist das eigentlich? 

 

Polyamorie – ein Thema, das in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit erfährt und dennoch in den Medien und in unserer Literaturwelt unterrepräsentiert ist. Die Liebe zu mehreren Personen, eine Beziehung mit mehr als einem Partner – das ist für viele von uns noch eine fremde und ungewohnte Vorstellung. Wir wissen so wenig über Polyamorie und sind in unserer „Mono-Bubble“ unterwegs, ich mit eingerechnet; meine Eltern leben monogam, meine Großeltern auch, meine restlichen Verwandten, die verrückten Nachbarn, das nette Bäckerpaar um die Ecke … Also dachte ich mir, es wird Zeit, ein paar Fragen zu klären, die einen ersten Überblick darüber geben können, was dieses Konzept der Polyamorie überhaupt ausmacht. Dazu habe ich unsere Lektorin Lisa befragt, die seit Jahren polyamourös lebt und mir von ihren Erfahrungen berichtet.

Polyamorie - Liebe mal anders

„Ich lebe polyamourös.“ Ein Interview

 

Frage: Wann und wie bist du selbst auf das Konzept der Polyamorie gestoßen?

Antwort: Ich habe über Freund*innen das erste Mal davon gehört. Eine Freundin hat eine zweite Beziehung begonnen und immer wieder Redebedarf gehabt. Ein Freund nahm mich mehrfach zu Spieleabenden usw. mit, bei denen mehrere seiner Partner*innen anwesend waren. Ich kannte die Konflikte und Vorteile von Polyamorie also schon, bevor ich das Konzept für mich ausprobierte.

Dass ich selbst begann, polyamor zu leben, ergab sich über einen Flirt, der eine feste Beziehung werden wollte. Er selbst spielte mit offenen Karten und ich wusste, dass an dieser Beziehung noch jemand dranhängt. Ich ließ mich darauf ein – und habe den richtigen Weg für mich gefunden.

 

Selbstreflexion

Frage: Kurz und knackig: Was ist der Unterschied zwischen Monogamie und Polyamorie?

Antwort: Kommunikation. Polyamore Menschen setzen in Beziehungen viel weniger voraus, was in der Monogamie eine feste Annahme ist. Immer wieder muss man deshalb darüber reden, wo die Beteiligten grade stehen. Da ist viel mehr Selbstreflexion im Spiel als bei monogamen Beziehungen.

 

Frage: Wie könnte man Polyamorie in drei Worten beschreiben?

Antwort: Selbsterkundung, Kommunikation, Erfüllung.

 

Frage: Wie „outet“ man sich als polyamourös? Gibt es da viel Gegenwind?

Antwort: Gegenwind vielleicht eher weniger – aber schiefe Blicke und unheimlich viel „Jaja, nur eine Phase“. Es ist mehr so eine abfällige Erhabenheit, die einem da entgegenschlägt. Ich gehe ziemlich offen mit meinem Beziehungskonzept um und bekomme auch sehr häufig interessierte Nachfragen. 

Das gestaltet sich meistens so, dass ich irgendwas von meinen Partnern erzähle, dann wird gefragt „Aber hieß dein Partner nicht X?“ und dann darf ich erklären. Ich habe selten schlechte Erfahrungen mit meinem „beiläufigen Outing“ gemacht. Wenn ich Datingportale benutze, steht aber immer auch dabei, dass ich polyamor bin – auf der Ebene finde ich es superwichtig, nicht „beiläufig“ zu sein. 


Polyamorie ≠ Offene Beziehung!

Frage: Ist Polyamorie das Gleiche wie eine offene Beziehung? 

Antwort: Nein! Polyamorie ist ein offenes Beziehungskonzept – aber es geht darum, auch romantische Beziehungen zuzulassen. Offene Beziehungen unterscheiden zwischen eine*m festen Partner*in und „Bettgeschichten“, polyamore Konstrukte beinhalten (auch) gleichgestellte Beziehungspartner*innen, mit denen auch der Alltag gestaltet werden kann.

 

Frage: Was würdest du sagen, ist der Kern einer gelungenen polyamourösen Beziehung?

Antwort: Wenn ich meinen Partner*innen alles erzählen kann, ist schon mal viel geschafft. Der Abbau jeder Hemmung im Gespräch ist etwas sehr Großartiges. Ob das wirklich der „Kern“ ist, kann ich nicht sagen, aber für mich ist es das Ziel, das ich mit meinen Partnerschaften erreichen möchte.


„Der schwierigste Part ist nicht die Beziehungsarbeit – sondern die Arbeit an sich selbst“

Lisa Helmus

Frage: Auf welche Schwierigkeiten bist du gestoßen?

Antwort: Es ist schwer, die eigenen Gefühle in Worte zu fassen und zu erkennen, was der Grund für sie ist. Was liegt jetzt eigentlich bei mir, was bei meiner Partnerperson? Damit kämpfe ich immer noch. Der schwierigste Part ist nicht die Beziehungsarbeit – sondern die Arbeit an sich selbst. Und einige Menschen, mit denen ich Polyamorie gelebt habe, fanden mich zu langsam in diesem Prozess.

 

Frage: Was für eine Rolle spielt Eifersucht in einer polyamourösen Beziehung?

Antwort: Eine große – und gar keine. Eifersucht hat einen Grund. Vielleicht habe ich Angst, verlassen zu werden, bin neidisch auf die Zeit, die ein*e andere*r mit meiner Partnerperson verbringt, oder ich fühle mich nicht gut/schön/schlau/kreativ genug in Gegenüberstellung mit einer anderen Person, die aus meiner Sicht viel toller ist! Wenn man das Gefühl Eifersucht so runterbricht, merkt man, dass ganz viel davon eigentlich bei einem selbst liegt. Es ist nicht „Ich bin eifersüchtig, denn du hast etwas falschgemacht“, sondern „Ich bin eifersüchtig, weil ich folgendes Problem mit mir selbst habe“ und darauf aufbauend dann „Kannst du Y tun, damit es mir besser geht?“ oder auch mal „Du kannst mir grade nicht dabei helfen“.


Flexibilität

Frage: Wie findet man überhaupt Zeit für mehrere Beziehungen?

Antwort: Die findet sich selbst, zumal Poly-Fernbeziehungen auch eine häufig gelebte Sache sind. Es ist schon viel Terminplanung und Flexibilität notwendig, aber so ist auch fast immer jemand da, wenn man grade ein offenes Ohr braucht.

Ich persönlich habe den Anspruch an mich selbst, all meinen Partnern dasselbe Level an Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, aber Liebe und Verliebtheit lässt sich sehr schwer begrenzen, darum kann ich auf keinen Fall ein „Partnerlimit“ nennen.

 

Frage: Kannst du dir eine monogame Beziehung wieder vorstellen?

Antwort: Meine Form der Beziehungsführung wird nie mehr dieselbe sein. Also auch, wenn ich wieder monogam leben wollen würde – mein Kommunikationsverhalten wären dasselbe wie jetzt. Und dann käme es mir „einengend“ vor, Erfahrungen und Horizonte mit nur einem Menschen zu teilen, wo ich doch so viel mehr lernen könnte. Also nein, ich glaube nicht, dass ich zurück möchte.

 

Frage: Wie läuft das Schlussmachen in polyamourösen Beziehungen, wird es schwieriger oder einfacher?

Antwort: Ich finde es viel schwieriger, besonders wenn da noch andere Partner*innen dranhängen. Ich bin dann vielleicht wieder Single, weiß aber, dass mein Partnermensch noch eine*n Partner*in hat, von dem/der er natürlich gestützt wird. Macht mich das dann unwichtiger? Den Schmerz für ihn leichter erträglich? Wurde ich überhaupt je gebraucht? Das sind dann Gedanken, die auf den ohnehin schon hohen „Alles schlimm!“-Stapel obendrauf kommen.


„Ich habe den Anspruch, alle meine Partner auf einer Stufe zu sehen.“

Lisa Helmus

Frage: Was tun, wenn man die „Sekundärbeziehung“ ist? Geht das ans Selbstwertgefühl?

Antwort: Für mich: Ja. Ich bin kein eifersüchtiger Mensch, aber ich habe den Anspruch, alle meine Partner auf einer Stufe zu sehen. Wenn ich jemandem begegnen würde, der das mit mir nicht tun möchte oder kann, hätte ich daran zu knabbern. Klar, manchmal machen einen die Umstände zum/zur Sekundärpartner*in (wenn Menschen bspw. zusammenwohnen oder verheiratet sind), das ist verständlich und ergibt sich von selbst. Das kann Gesprächsthema sein, erscheint mir aber nicht problematisch. Aber wenn mir ein Partnermensch bewusst ins Gesicht sagt, dass ich „weniger wert“ bin, als ein*e andere Partner*in, dann macht mir das zu schaffen.

 

Frage: Welche Fragen kannst du nicht mehr hören bezüglich Polyamorie? 😉 

Antwort: Fragen stören mich eher selten (nicht mal die ewige Frage nach der Eifersucht), ich tausche mich sehr gerne über das Thema aus. Was aber nie okay sein wird, sind Fragen zu meiner Sexualität: „Habt ihr dann auch zu dritt (viert, fünft …) Sex?“ oder „Also ist das ein Freifahrschein zum Fremdvögeln?“ Ich werde einfach nie verstehen, warum man von einem Gespräch über ein Beziehungskonzept darauf schließt, dass es total okay ist, wildfremde Menschen nach ihrem Sexualverhalten zu fragen – und dann noch auf übelste Klischees zurückzugreifen.

 

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