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Tags: Polyamorie, Interview

Autor/in: Caroline Breitfelder

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Helen Klaus – Ein Interview 

 

Helen Klaus, geb. 1983, ist Autorin des Buches „Poly“, in dem es sich um das weite und für viele immer noch weitgehend unbekannte Feld der Polyamorie geht, der Liebe zu mehreren Menschen. Wir von Bookbakers dürfen ihr heute Fragen stellen – über das Schriftstellertum, die Liebe und verschiedene Beziehungskonzepte, Eifersucht, die Kunst, ein Buch zu veröffentlichen, und vieles mehr.

Polyamorie - Liebe mal anders

Bookbakers: Liebe Helen, schön, dass du da bist! Sich vorzustellen, ist ja immer eine schwierige Sache, deswegen drei simple Fragen zum Kennenlernen: Kaffee oder Tee? Was ist dein Lieblingsbuch? Was machst du, wenn du mal nicht weiterweißt und auf den Boden zurückfinden musst?

Helen: Definitely Tee! Ohne meine Tasse Grüntee am Morgen würde ich nichts zustande bringen. Am Nachmittag hole ich dann den Schwarztee raus. Die Frage nach dem Lieblingsbuch ist total schwierig, weil es einfach zu viele sind! Angefangen, Bücher zu lieben habe ich wegen T.C.Boyle und seinem Roman Grün ist die Hoffnung. Der Roman, der mir in den letzten Jahren am meisten in Erinnerung geblieben ist, ist Der Report der Magd von Margaret Atwood. Den haben wir im Buchclub der Frauenstudien diskutiert. Ich bin wahnsinnig froh, dass ich dieses Buch gelesen habe. Es zeigt so eindrucksvoll, wohin sich unsere Gesellschaft auf keinen Fall entwickeln darf. Stattdessen müssen wir weiter vorangehen, Frauenrechte und die Rechte von LGBTQI stärken und dürfen dabei das Thema Intersektionalität nicht vergessen. Unser Planet ist bunt, und das ist gut so!
Wenn ich mal nicht weiterweiß, hilft mir die Natur. Ich gehe raus ins Freie und gieße meine Pflanzen. Zu sehen, wie alles wächst und gedeiht ist toll.

 

Bookbakers: Schön, jetzt kennen wir uns ja schon ein bisschen … Sag mal, was haben deine Eltern und Freunde gesagt, als du meintest, du wirst ein Buch über Polyamorie veröffentlichen?

Helen: Meine Mutter hat mich gefragt, wo und wann man das Buch denn kaufen könnte. Viele meine Freunde kennen das Thema Polyamorie und wollten das Projekt gleich unterstützen. Ich schätze mich wahnsinnig glücklich, dass ich einen derart offenen und feministisch eingestellten Freundeskreis habe.

Bookbakers: Wie es ist, ein Buch zu schreiben, darauf antwortet jeder Schriftsteller und jede Schriftstellerin anders. Deswegen möchte ich auch von dir gerne wissen: Was für eine Erfahrung war es für dich? Hattest du das ganze Buch, Plot und alles, schon ausgearbeitet, oder hast du einfach drauflosgeschrieben? Gab es Phasen, in denen einfach gar nichts mehr ging? Erzähl mal.

Helen: „Poly“, wie es jetzt vom Kladdebuchverlag veröffentlicht werden soll, war mein zweiter Anlauf an das Thema. Beim ersten Versuch habe ich mich einfach treiben lassen und musste dann feststellen, dass das nicht meine Art zu schreiben ist. Mir sind die Charaktere buchstäblich davongelaufen, haben sich verselbstständigt und die Handlungsstränge haben nicht mehr zusammengepasst. Es war toll für die Kreativität, ich konnte mich mal so richtig austoben. Aber für eine sinnvolle Story war es nichts. Dann habe ich das ganze Ding mal durchstrukturiert und geplottet. Dabei habe ich das, was ich schon hatte, in einen Topf geschmissen, einmal ordentlich durchgerührt und neues dazu geschrieben. Ich habe die meisten Szenen neu geschrieben, aber viele Ideen sind erhalten geblieben. Meinen Plot hat dann mein Autorenstammtisch auch nochmal unter die Lupe genommen und mir Feedback gegeben. Ich habe viele Abende damit verbracht. Aber es hat sich gelohnt!

Polyamorie ≠ Offene Beziehung!

Bookbakers: Du hattest ja bereits ein Buch geschrieben, das vor einem Jahr erschienen ist mit dem Titel Abgeranzte Liebe. Über die Spielformen der Liebe zu schreiben, hat also generell einen besonderen Reiz für dich?

Helen: Ja, zur Abgeranzten Liebe habe ich drei Kurzgeschichten beigesteuert. Es geht dabei um die verschiedenen Spielarten der Liebe. Also nicht nur um die romantische Liebe, sondern auch die Liebe zu den eigenen Kindern oder Eltern. Und darum, dass Liebe auch ausgenutzt werden kann. Liebe begleitet uns unser ganzes Leben. Wir brauchen das positive Feedback unserer Gruppe, wir brauchen den Rückhalt durch unsere Eltern und unsere Partner. Es ist ein wahnsinnig vielschichtiges Thema, das viel mit uns als Menschen macht.

Bookbakers: Wieder zurück zu „Poly“: Möchtest du in aller Kürze vorstellen, worum es in dem Buch geht und was dich dazu bewogen hat, es zu schreiben?

Helen: In „Poly“ geht es um eine polyamore WG. Klaus und Evi haben Polyamorie durch ihre Mitbewohner Jan und Lore kennen gelernt und schließlich beschlossen, ihre Beziehung zu öffnen. Klaus geht für drei Monate nach Berlin, um dort an einem Seminar teilzunehmen, und lernt eine neue Frau kennen, in die er sich Hals über Kopf verliebt, die aber selbst mehrere Partner hat. Evi will ihre Beziehung zu Jan vertiefen. Aber das wirbelt natürlich die Dynamik zwischen Jan und Lore auch gehörig durcheinander.

„Es geht darum, dass eine Person mehrere Personen gleichzeitig und gleichberechtigt liebt.“

Helen Klaus

Bookbakers: Deine Geschichte dreht sich also um ein Paar, das ein polyamores Beziehungskonzept lebt. Ich glaube, einige Leser und Leserinnen könnten Polyamorie schnell mit einer offenen Beziehung gleichsetzen. Möchtest du kurz erklären, was Polyamorie für dich bedeutet?

Helen: Polyamorie heißt ja so viel wie viel-Liebe. Es geht darum, dass eine Person mehrere Personen gleichzeitig und gleichberechtigt liebt. Bei einer offenen Beziehung haben die Partner zwar Sex mit anderen, aber führen keine Liebesbeziehungen. Wobei hier natürlich jeder mit seinen Partnern zusammen eine eigene Definition finden muss, die zu ihnen passt. Die Übergänge sind fließend.

Bookbakers: Welche Vorurteile gegen Polyamorie verursachen dir Magenschmerzen? Hast du das Gefühl, dass es in unserer Gesellschaft immer noch viele erhobene Augenbrauen gibt, wenn man sich als „poly“ outet?

Helen: Ich habe das Gefühl, dass ein unheimliches Interesse an dem Thema da ist. Aber es ist auch eine Sache, die einfach außerhalb dessen stattfindet, was wir als gesellschaftliche Norm verstehen. Unsere Gesellschaft ist schon allein aufgrund des historischen Einflusses monogam geprägt. Es musste seit dem Mittelalter klar sein, wer von wem was erbt. Und da das Erbe traditionell vom Vater auf den Sohn übergeht, musste sichergestellt sein, dass der Sohn auch vom Vater ist. Das funktioniert in einer Ehe, in der zumindest die Frau monogam zu leben hat.

Bookbakers: Denkst du, dass Polyamorie gegenüber der Monogamie das überlegene Beziehungskonzept ist?

Helen: Es gibt kein überlegenes Beziehungskonzept. Es gibt nur Vorlieben. Jeder Mensch hat seine eigene Vorstellung vom Glück, das ist subjektiv. Die einen wollen monogam leben, die anderen polyamor und die Nächsten sind irgendwas dazwischen. Die eigene Freiheit endet, wo die Freiheit des andern beginnt. Das sollten wir respektieren. Und niemand sollte zu etwas gezwungen werden, was er oder sie nicht möchte. Weder zur Monogamie noch zur Polyamorie. Und genauso sollte nichts davon stigmatisiert werden.

Feminismus

Bookbakers: Mit Buchcharakteren ist es ja wie mit Kindern, man möchte nur ungern zugeben, dass man eins lieber mag als das andere; aber Hand auf’s Herz, hast du einen Lieblingscharakter in „Poly“ – und wenn ja, wieso?

Helen: Oh, das ist ja mal eine schwierige Frage. Vielleicht Evi. Sie versucht dieser Welt einen Sinn zu geben, der zu ihr selbst passt. Aber es hat eigentlich jeder Charakter Eigenschaften, die ich schätze.

Bookbakers: Gibt es für dich in deinem Buch eine Lieblingsstelle, die dir besonders am Herzen liegt?

Helen: Ich selbst liebe die Stelle, wo Evi mit den Feministinnen in den Wald fährt und sie Ökofeminismus betreiben. Bei den Frauenstudien München hatten wir mal einen Workshop dazu. Die Gefühle, die dabei hoch gekommen sind, versuche ich dort zu beschreiben.

Bookbakers: Lass uns wieder ein bisschen über dein „reales“ Leben reden. Du bist auch Mitglied bei den Frauenstudien München. Möchtest du schnell erklären, was es mit diesem Verein auf sich hat?

Helen: Die Frauenstudien sind ein Denkzuhause. Wir treffen uns und diskutieren über aktuelle feministische Themen. Wir lesen gemeinsam feministische Werke und schauen Filme und tauschen danach unsere Gedanken dazu aus. Ich bin an den Frauenstudien gewachsen und habe über sie viele wichtige Themen kennengelernt, mich damit auseinandergesetzt und so einen anderen Blick auf unsere Gesellschaft bekommen. Die Frauenstudien sind ein wichtiger Faktor dafür, dass das Buch zu dem wurde, was es jetzt ist. Ein besonders tolles Event, das wir hatten, war der Leseclub mit Luise F. Pusch über ihre linguistischen Forschungsarbeiten. Wir haben darüber gesprochen, wie die deutsche Sprache funktioniert und warum Veränderungen so lange brauchen, um in den alltäglichen Sprachgebrauch über zu gehen. Und eben solche Dinge wie der Workshop zum Ökofeminismus.

„Etwas schade ist, dass so wenig feministische Männer zu unseren Vorstellungen kommen, um sich an unseren Diskussionen zu beteiligen.“

Helen Klaus

Bookbakers: Ich glaube zu wissen, dass du außerdem auch noch als Feministin aktiv bist, ist das richtig? Würdest du sagen, dass dein Buch „Poly“ auch feministische Thematiken aufgreift?

Helen: Ja, total. Die Frauenstudien München sind ja ein feministischer Verein und wir behandeln feministische Themen. Das hat „Poly“ schon sehr beeinflusst. Bei den Frauenstudien organisiere ich gemeinsam mit zwei Mitfrauen den Filmclub, in dem wir uns mit Filmen aus einer feministischen Sichtweise auseinandersetzen. Ich liebe es, mit diesen tollen Frauen zu diskutieren. Etwas schade ist, dass so wenig feministische Männer zu unseren Vorstellungen kommen, um sich an unseren Diskussionen zu beteiligen. Das könnten mehr sein.

Bookbakers: Du möchtest „Poly“ via Crowdpublishing veröffentlichen. Im Moment läuft die Kampagne für die Vorfinanzierung des Werkes (unter kladde.bookbakers.de/poly/). Wie genau funktioniert das und wieso hast du dich für diesen Weg entschieden?

Helen: Lisa, meine Lektorin beim Kladdebuchverlag, habe ich auf der Leipziger Buchmesse kennen gelernt, als mein Manuskript gerade kurz vor der Vollendung stand. Und was soll ich sagen? Es hat einfach gepasst. Ich musste nicht erklären, was poly ist und warum ich das jetzt geschrieben habe. Das habe ich schon ganz anders erlebt. Wenn die Leute einen mit großen Augen anschauen, war mir oft schon klar, dass es mit meinem ungewöhnlichen Thema schwierig wird. Vor allem, weil meine Geschichte auch nicht einem einfachen Liebesroman-Schema folgt. Mit Lisa konnte ich mich sofort über die Geschichte unterhalten. Und auch jetzt in der Zusammenarbeit während der Kampagne habe ich mehr und mehr festgestellt, dass wir uns verstehen. Ich meine, Lisa hat sich sogar wegen meinem Buch auf Twitter geoutet. Als ich ihren Post gelesen habe, hatte ich Gänsehaut. Und für das Crowdfunding beim Kladdebuchverlag habe ich mich eben auch entschieden, weil ich mit Lisa als Lektorin ein super Gefühl hatte.
Beim Crowdpublishing kaufen die Leute das Buch einfach vorab. Es ist gar nicht so anders, als wenn man im Internet ein Buch kauft, nur dass man das Buch geliefert bekommt, nachdem es dann gedruckt wurde. Die Wartezeit ist also etwas länger. Und sollte die Kampagne nicht erfolgreich sein, bekommen die Leute ihr Geld zurück.

Bookbakers: Helen, zum Abschluss: Erzähl unseren Lesern und Leserinnen kurz und bündig: Wieso sollten sie die Kampagne unterstützen und wieso sollten sie sich unbedingt dein Buch „Poly“ kaufen?

Helen: Literatur ist auch immer politisch. Und Polyamorie ist in der literarischen Landschaft nicht sonderlich gut vertreten. Und wenn, dann sind es oft die gleichen Themen. Eine Frau hat zwei Männer, ein Mann zwei Frauen. Und am Ende muss sich irgendwer entscheiden. Und das ist es einfach nicht, was Polyamorie ausmacht. Ich hoffe, dass mein Roman das rüberbringt. Literatur sollte meines Erachtens vielfältiger werden und die Welt abbilden, wie sie ist. Das Beziehungsmodell des monogamen Paares kennen wir zu gut. Das finden wir in fast jedem Roman. Aber wie oft findet man schon davon Abweichendes, das den Menschen zeigen: hey, es geht auch anders. Du kannst leben und lieben, wie du willst.

Bookbakes: Liebe Helen, ich danke dir herzlich für das Gespräch und wünsche dir viel Erfolg mit der Kampagne!

 

Wenn ihr Helen unterstützen und ihr Buch „Poly“ erwerben möchtet, könnt ihr das hier tun: