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Tags: Partnerschaft, Polyamorie, Beziehung

Autor/in: Caroline Breitfelder

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Das Konzept der Polyamorie ist das gleichzeitige Führen mehrerer romantischer Partnerschaften zur selben Zeit. Dabei wissen alle beteiligten Menschen voneinander, es gibt Absprachen, wie die Beziehungen zueinander koordiniert werden sollen und unter Umständen auch Regeln, wie schnell oder langsam das Kennenlernen neuer potenzieller Partner_innen angegangen werden sollte.

Dieses Beziehungsmodell bringt tolle Nebeneffekte mit sich. Man lernt unfassbar viel über sich selbst, nähert sich einer offenen Kommunikation mit den Partner_innen zunehmend an, Stillstand in der Beziehung ist quasi nicht vorhanden, weil immer neue Eindrücke und Strukturen dazukommen. Es birgt aber auch Herausforderungen. So ist jede Beziehung, die ich neu eingehe, anders als die, die schon bestanden haben. Das kann zur Entstehung von Primär- und Sekundär-Partnerschaft führen.

 

Polyamore Beziehungen

Was ist eine Primär-Partnerschaft?

Wie der Name schon suggeriert, ist eine Primär-Partnerschaft in der Polyamorie eine Beziehung, der ich (bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt und in welcher Form auch immer) einer anderen Partnerschaft unterordne. Sekundärpartner_innen kommt zum Beispiel weniger Zeit zu, bestimmte Freizeitaktivitäten werden nicht gemeinsam unternommen, der Kontakt zur Familie wird nicht hergestellt. Sowas kann der Fall sein, weil ich mit meinem_r Primärpartner_in zusammenwohne und deswegen einen Alltag managen muss. Weil ich mit meinem_r Primärpartner_in verheiratet bin und/oder Kinder habe und deswegen familiäre Verpflichtungen entstehen, oder weil ich schlicht gegenüber meinen Sekundärpartner_innen eine weniger intensive Verbindung habe – zum Beispiel, weil wir noch nicht so lange zusammen sind, oder nur eine sexuelle Beziehung haben.

Und was, wenn ich „nur“ der/die Sekundärpartner_in bin?

Wie bei allem, was wir in diesen Blogbeiträgen beschreiben, kommt das immer auf die Umstände an. Ich habe einen verheirateten Partner, der im Ausland mit seiner Frau in einem eigenen Haus wohnt. Das macht mich zu seiner Sekundärpartnerin. Allerdings ist das so wenig ein Thema in dieser Konstellation, dass ich mich nicht zurückgestellt fühle. Ich bezeichne die besagte Ehefrau als meine Freundin, wir machen Brettspielabende zu dritt oder mehreren Personen (wenn nicht gerade eine Pandemie im Umlauf ist), alle haben ein super entspanntes Verhältnis zueinander. Wenn irgendetwas los ist, werde ich mit einbezogen und entweder von ihm oder ihr informiert.

Anders wäre es, wenn mir ein_e Partner_in aus dem Nichts ins Gesicht sagen würde, dass ich ja „nur“ den Status einer Sekundärpartnerin und alle damit verbundenen (implizierten) Benachteiligungen hätte. Damit könnte er_sie zum Beispiel begründen, dass ein anderer Mensch mit zu einem Event kommt, ich aber nicht darf/kann/soll. Oder, dass ein Treffen mit mir nicht stattfindet, weil eine andere Person ohne konkreten Anlass lieber getroffen werden möchte. Dass mich sowas belasten würde, liegt aber nicht daran, dass mich das Label „Sekundärpartnerin“ nerven würde, sondern dass es eigentlich bedeutet: – Du bist mir nicht so wichtig wie Person A und ich habe auch kein Interesse daran, dass es so wird – Du bist mir weniger wichtig, als du dachtest – Der Ist-Zustand wird sich nicht verändern und dein Standpunkt dazu ist mir egal – Nimm das alles so an, oder verlass mich

 

Was, wenn man "nur" der/die Zweite ist?

Passiert diese Einteilung öfter?

Die Einteilung in Primär- und Sekundärpartner passiert in der Regel nicht explizit. Durch die oben erwähnten Regeln und Absprachen ergibt sich ganz automatisch ein „logistischer Alltag“. Ich als polyamore Person kann es nicht ändern, dass ich einem_r Partner_in, mit dem_r ich zusammenwohne, häufiger begegne und mehr Absprachen mit ihm_ihr treffen muss. Und ich kann auch nicht ändern, dass eine Fernbeziehung eine Fernbeziehung ist.

Wirklich schwierig wird es dann, wenn noch andere, externe, Faktoren dazukommen. Wenn ich zum Beispiel nur meine_n Primärpartner_in an Weihnachten zur Familie mitnehmen kann, weil ich nicht geoutet bin. Auch wenn ich mit Sekundärpartner_innen nicht händchenhaltend durch die Stadt laufen möchte, weil ich Angst davor habe, dass mich Arbeitskolleg_innen sehen und verurteilen könnten, muss unter Umständen darüber gesprochen werden.

Ob das meine Partner_innen belastet, ob man vielleicht daran arbeiten kann, ob ein Outing in Betracht gezogen wird, sind dann wichtige Fragen, um zu verstehen, warum man als Sekundärpartner_in zurückstecken muss. Und vielleicht finde ich es ja auch sehr erleichternd, keine Primärpartnerin zu sein oder diesen Anspruch erfüllen zu müssen. Weil ich selbst eine_n andere_n Partner_in habe, mit dem_r ich zusammenwohne. Oder weil ich Angst vor einer zu engen Bindung habe und Wert darauf lege, mir viele Freiheiten zu bewahren.

Dann kann es auch sehr beruhigend sein, zu wissen, dass mein Partnermensch noch jemanden hat, auf den_die er sich verlassen kann. Jemand, der_die weiß, was er brauchen könnte und der_die viel besser Verantwortung übernehmen kann als ich.