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Zeitgenössische Literatur

Nach dem letzten Ausflug in das 19. Jahrhundert mit all den literarischen Perlen, die dort zu finden sind, kommen wir nun am Ende unserer Episode an: Bei der Moderne und der (mehr oder weniger) zeitgenössischen Literatur ab dem 20. Jahrhundert.

Seien wir ehrlich: Heutzutage ist der Literaturmarkt überschwemmt mit allem Möglichen und auch vielem, was niemals auf den Markt hätte kommen sollen, da es den Namen „Literatur“ nicht wirklich verdient hat. Aber es gibt auch heute noch wunderbare Bücher, aus denen man lernen und mit denen man Spaß haben kann, Klassiker in the making –Bücher, die zwar noch jung sind und dennoch bereits die Welt verändert haben.

1925: Franz Kafka, „Der Prozess“

Man mag von Kafka halten, was man will: Der Mann war genial. Seine Art, zu schreiben und (unangenehme) Gefühle im Leser zu wecken, ist Wahnsinn. Der Roman, der seine Rezipient/innen seit Jahrzehnten vor Rätsel stellt, ist posthum veröffentlicht worden, vielleicht einer der Gründe für seine stellenweise wirren Handlungsstränge.

Die Handlung mag zwar wirr sein; die Gestalt des Werkes wirkt dennoch einheitlich – die Bedeutung und der Sinn allerdings wiederum nicht. Das mag paradox klingen, aber „Der Prozess“ ist nun mal ein paradoxes Buch. Bei den Interpretationen der Geschichte von Josef K., der „ohne, dass er etwas Böses getan hätte“ eines Morgens urplötzlich verhaftet wird, in die undurchsichtige Maschinerie von Staat und (Un-)Recht hineinschlittert und nicht wieder herauszufinden vermag, einer übermächtigen Autorität ausgeliefert, scheiden sich die Geister von Literaturwissenschaftler/innen seit langem – ähnlich hilflos, könnte man sagen, wie Josef K.

Was wir wissen: Die Geschichte saugt dich ein, verwirrt und dreht dein Hirn ein paar Mal im Schleudergang im Kreis, bis du das Buch nach der letzten Seite atemlos und mit wirbelnden Neuronen sinken lässt.

1949: George Orwell, „1984“

Ein Thema, das für uns heute wieder brennend aktuell ist, wirft man einen Blick auf moderne Gesellschaften und Regierungen, auf ihre Geheimdienste, Überwachung, Wahlmanipulation und Datenklau: Inwiefern sind wir wirklich frei? Inwiefern werden wir überwacht, kontrolliert, in unseren Handlungen vielleicht sogar gesteuert? Und was passiert, wenn wir es wagen, einen Blick hinter den Vorhang zu werfen? – Mit diesen Fragen beschäftigt sich auch schon Orwells Dystopie „1984“, die vor über einem halben Jahrhundert veröffentlicht wurde.

In der Geschichte geht es um eine nahe Zukunft, in der technischer Fortschritt und eine totalitäre Regierung sich gepaart und ein vollständiges Überwachungssystem geschaffen haben. Protagonist ist Winston Smith, eigentlich ein Normalo, der irgendwann mal auf den Putz haut und auf den Gedanken kommt, dass die Welt, in die er gezwungen wird, vielleicht nicht diejenige ist, in der er leben möchte. Das hören die Partei und der immer wachsame „Große Bruder“ natürlich gar nicht gern und es wird eine Gehirnwäsche für Winston anberaumt …

„1984“ ist nichts für schwache Nerven und nichts für Leser/innen, die nach Happy Ends lechzen. Nach manchen Geschichten und in manchen Situationen kann kein Happy End folgen. Eben das macht es so wichtig, es gar nicht erst soweit kommen zu lassen. Daran erinnert uns Orwells zeitlose Mahnung.

1960: Harper Lee, „To Kill a Mockingbird“

Die Geschichte über (mangelnde) Gerechtigkeit und Rassismus in den Staaten spielt in Alabama und wurde geschrieben von Autorin Harper Lee, die selbst in Alabama aufwuchs. Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine Gerichtsverhandlung gegen den Afroamerikaner Tom Robinson. Ein Anwalt namens Atticus Finch übernimmt seine Verteidigung und obwohl in dem Verfahren klar wird, dass Tom unschuldig ist, wird er verurteilt, da sich die Jury dem ungeschriebenen Gesetz beugt, dass einem „Schwarzen“ nicht zu trauen ist, wenn sein Wort gegen das eines „Weißen“ steht. Einen fairen Prozess gibt es hier nicht. Was so aufwühlend an der Geschichte ist: Diese Dinge und himmelschreiende Ungerechtigkeiten sind wirklich passiert. Genauso lief es (nicht nur in den USA – und, seien wir ehrlich, nicht nur früher) ab.

Harper Lees Buch erhielt 1960 den Pulitzer-Preis aufgrund seiner aufklärerischen Wirkung und des Anklagens von rassistischer Ungerechtigkeit in den USA. Kritik wird ebenfalls laut; konservative Kreise beispielsweise halten das Bild der US-Gesellschaft für zu negativ gezeichnet, aber auch progressive Leser/innen stören sich an der „politisch unkorrekten“ Sprache des Buches, wie etwa an dem Wort „Nigger“. Nicht selten wurde das Buch deshalb aus dem Unterricht an öffentlichen Schulen verbannt. Aber davon lässt sich sein Erfolg nicht aufhalten: Noch immer gehört das Buch, das ja kein verjährtes, sondern ein immer noch brandaktuelles Thema behandelt, zu den meistverkauften Büchern in den USA.

1967: Gabriel García Márquez, „Cien años de soledad“

Márquez’ Buch „Hundert Jahre Einsamkeit“ ist laut Wikipedia der paradox klingenden Strömung des „Magischen Realismus“ zuzuordnen. Was soll das denn sein? – Nun, tatsächlich wirkt das Werk trocken-schonungslos realistisch, verzichtet auf rosarote Brillen und versöhnliche Schleier, die über menschliche Grausamkeit und Dummheit gezogen werden. Andererseits bedient es sich Geister, magischer „Zigeuner“ und fiktiver Schlafkrankheiten, die allesamt das Örtchen Macondo und seine wirklich arg geplagten Bewohner aufsuchen.

Zu den Gründerfamilien Macondos gehören auch die Buendías, deren traurig-schöne, melancholische und manchmal komische Antihelden-Familiengeschichte hier erzählt wird. Wir haben Ursula, eine Art Familienmutter, die versucht, die ganze Bande mit Müh und Not zusammenzuhalten; mehrere männliche Familienmitglieder mit sehr ähnlichem Namen (Verwirrung vorprogrammiert), die in Kriegen kämpfen, Verwandte heiraten, sich verlieben, (sich) betrügen, hoffnungslos dem Wahnsinn anheimfallen; in die Weite ziehen – und immer wieder jedoch nach Macondo zurückkehren; eine überirdische schöne Heilige, die irgendwann gen Himmel fährt … und so weiter und so fort, das Buch lässt wirklich wenig an menschlicher Größe und Schwäche aus.

Für viele Literaturwissenschaftler und Leser/innen ist das Buch „Hundert Jahre Einsamkeit“ eine Allegorie zur Geschichte Lateinamerikas und fängt ungeschönt die „lateinamerikanische Seele“, falls man davon reden kann, ein. Ich muss ehrlich sagen: Manchmal versteht man bei der Lektüre nicht mehr, wo vorne und hinten und was gut und böse ist. Aber: Man ist immer mitten drin und immer mit Haut und Haaren mit dabei.

Ab 1997: J.K. Rowling, „Harry Potter“-Reihe

Nach Tolkiens „Herr der Ringe“, welches genauso gut in diesem Beitrag stehen könnte, und dem Siegeszug der Fantasy, der darauf folgte, gibt es wohl kein erfolgreicheres Fantasybuch als die „Harry Potter“-Reihe von Joanne K. Rowling, die sich über 500 Millionen Mal verkaufte und in etwa 80 Sprachen übersetzt wurde. In meiner Generation hat einfach fast jeder Harry Potter gelesen; die wenigen, die sich um die Bücher gedrückt haben, haben wenigstens die Filme gesehen; und man müsste schon sehr weit wandern, um eine Person zu finden, die noch nie von Harry Potter, Ron Weasley und Hermine Granger gehört hat; deswegen verzichte ich hier auch auf eine kurze Inhaltsangabe, das würde euch nur langweilen.

Die „Harry Potter“-Bücher (und auch die Filme) waren nicht nur unerhört erfolgreich und hielten jahrelang Plätze auf den Bestsellerlisten, sie verhalfen auch dem Fanatsy-Genre zu einem neuen Boom und veränderten die Art, wie der Buchmarkt Marketing und Merchandise betreibt. Und außerdem haben sie eine ganze Generation beim Aufwachsen begleitet; wir lernten Harry, Ron und Hermine als Kinder oder junge Teenager kennen, machten mit ihnen zusammen die Pubertät durch (gut, ich kämpfte gegen Pickel und Liebeskummer, sie gegen Lord Voldemort, aber wer will denn Erbsen zählen) und verabschiedeten uns von ihnen als junge Erwachsene. Wie sollten sie da keinen Platz in unserem Herzen einnehmen?

Bücher, die die Welt verändert haben: Man kann nie genug haben

Das waren ein paar mehr oder weniger ernste und gehaltvolle „Klassiker“, die wir hier vorgestellt haben. Andere moderne Bücher, die etwas leichter sind und einfach nur Spaß machen, ohne flach zu sein, verdienen es auch, gelesen zu werden – und das werden sie auch, zum Beispiel von uns. Deswegen haben wir dir auch noch einen weiteren Beitrag zusammengestellt, in welchem du voll auf deine Kosten kommst, wenn du zeitgenössische Autor/innen liebst.